Volksstimme vom 13.02.2012
Moderne Leuchtstreifen unerwünscht!
Eisenbahn-Enthusiasten aus mehreren Ländern auf Fototour im Salzwedeler Lokschuppen
von Uta ElsteDer Salzwedeler Lokschuppen war am Wochenende Ziel von 32 Eisenbahnenthusiasten. Ausgestattet mit üppiger Fototechnik nutzten sie eine letzte Chance, Eisenbahngeschichte im Bild festzuhalten.
Salzwedel "Die Jacke ist zu modern." Bernd Seiler achtet auf jedes Detail. Der Berliner folgt seit mehr als 30 Jahren weltweit den Schienensträngen und den auf ihnen fahrenden Zügen. Vor etwa einem Dutzend Jahren machte er seine Passion zum Beruf, organisiert für Menschen, die seine Leidenschaft für Eisenbahnen teilen, Reisen rund um den Globus. Nach Eritrea und vor Bosnien-Herzegowina stand ein Wochenende in Salzwedel auf dem Plan. Die offerierte Kurzreise war spätestens dann ausgebucht, als die Vorhersagen ideales Winterwetter ankündigten. Vor allem Männer, aber auch einige Frauen und Kinder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, den Niederlanden und Großbritannien waren mit Fotoapparaten und Kameras auf dem Lokschuppenareal unterwegs, um ein Bahnbetriebswerk zur Reichsbahnzeit abzulichten. "Die Anlage ist wie zu Beginn der 1980er Jahre", schwärmt Bernd Seiler. "Diese Tore, die Wellasbestplatten auf dem Dach, wo gibt es denn so etwas noch?" Aber die Eisenbahner, also die Dampflokfreunde, müssen auch in die Zeit passen. Mützen, in denen noch der volkseigene Hersteller mit einer vierstelligen Postleitzahl verewigt ist, werden akzeptiert. Die Filzstiefel, die der Zweite Vorsitzende Dirk Endisch seit seiner Armeezeit besitzt, ebenfalls. Und das i-Tüpfelchen ist ein Transparent, auf dem die Loksportler "der Partei der Arbeiterklasse danken" und versichern "mit neuen Erfolgen im Sport unsere sozialistische DDR" zu stärken. Aber Jacken mit Leuchtstreifen dagegen gab es Anfang bis Mitte der 1980er Jahre in der damaligen DDR nicht. Also bitte nicht ins Bild laufen.
Bernd Seiler kennt das Salzwedeler Bahnbetriebswerk seit Anfang der 1980er Jahre. "1987 bin ich zum letzten Mal hier gewesen", erinnert er sich. Das Wissen, dass die Dampflokfreunde demnächst nach Wittenberge umziehen werden, veranlasste ihn, diese "Zeitreise" in die "heiligen Hallen dieses Kleinods" am Salzwedeler Bahnhof zu organisieren, wie er auf seiner Homepage schreibt. Und da überlässt er nichts dem Zufall, stellt ein komplettes Drehbuch für verschiedenste Einstellungen zusammen: Abölen einer Dampflok, Anfahren unter Volldampf, Rangieren, Aufnahmen unter Flutlicht oder beim einsetzenden Tageslicht.
"Schade, dass hier bald alles vorbei ist"
Zur besonderen Gaudi der Eisenbahn-Enthusiasten, aber auch der Dampflokfreunde hat Seiler sogar eine "Verhaftung" durch die Transportpolizei organisiert. Christian Jacholke und Ingo Moschall von der Interessengemeinschaft "VEB Schwellenschutz - Die Transportpolizei" mimen die Ordnungshüter. Cornelius Dudensing lässt sich für die Bilder der anderen Eisenbahnfans immer wieder verhaften. Der Schweizer aus Riehen bei Basel arbeitete auf einem Rangierbahnhof. Eisenbahngeschichte ist sein Hobby. "Schade, dass hier bald alles vorbei ist", sagt er.
"Wunderschön, diese kleine Szene." Sehr interessiert und nicht nur wegen des Zusammenhangs mit der einstigen Deutschen Reichsbahn beobachtet Andrew Simpson das dargestellte Geschehen. Der Brite, den die Liebe zu Eisenbahnen im Alter von zwei Jahren packte, ist hauptberuflich Polizist in Cleveland in der Nähe von Newcastle. "Die Lokalbahnen bei uns zu Hause sind ein regelrechter Magnet. Viele Touristen kommen ihretwegen", berichtet er.
"Die Liebe zu Eisenbahnen kommt bei vielen im Kindesalter. Und bei einigen hält es, bis sie erwachsen sind." - Thomas Boßdorf weiß, wovon er redet. Der Teupitzer (Landkreis Dahme-Spreewald) ist heute Lokführer. Und Frank Pilchowski aus dem sächsischen Glauchau gibt die Liebe zur Eisenbahn schon an seinen Sohn Felix weiter.
Die wie zu DDR-Zeiten gekleideten Dampflokfreunde legen sich für ihre Besucher, die warm eingepackt der Kälte trotzen, mächtig ins Zeug, arrangieren ihre Loks für gute Einstellungen, beheizen einen Bistrowagen, in dem sich alle Beteiligten immer wieder aufwärmen können und "beleben" die Fotos, in dem sie immer wieder und abwechselnd eine Schubkarre voller Kohlen durch die Szenerie schieben. "Es war ein Supererlebnis", sagt Vorsitzender Burkhard Bohn schmunzelnd.
Leider wohl das letzte seiner Art. Bernd Seiler bedauert das Aus der Dampflokfreunde in Salzwedel. Für derartige Foto- und Videoaktionen sei Salzwedel ideal. "Wittenberge ist viel größer, da bräuchte man für eine entsprechende Darstellung schon acht Lokomotiven", vergleicht der Berliner Reiseleiter die Standorte.
Dem Salzwedeler Lokschuppen prophezeit er nach dem Auszug der Dampflokfreunden eine düstere Zukunft, ausgeliefert dem Aktionismus von "Graffitifreunden", Steinewerfern und Schrottdieben. "Daher wohl die letzte Ausfahrt vor dem Untergang eines der letzten original erhaltenen Bahnbetriebswerke der Deutschen Reichsbahn", schreibt er.
Martin Beelte und Michael Brinkmann demonstrierten den fotografierenden Eisenbahn-Enthusiasten das Abölen einer Lokomotive. |
Vater und Sohn, analoge und digitale Fotografie: Während Vater Frank Pilchowski aus Glauchau am klassischen Film festhält, ist Sohn Felix seit einem halben Jahr Besitzer einer Digitalkamera. |
Die "Transportpolizisten" Ingo Moschall und Christian Jacholke verhafteten einen vermeintlich Verdächtigen, den darzustellen Cornelius Dudensing durchaus Spaß bereitete. |
Seit den 1980er Jahren hat sich im Salzwedeler Lokschuppen fast nichts verändert - und genau das machte ihn am Wochenende zum Reiseziel von 32 Eisenbahn-Enthusiasten und Hobbyfotografen. Die Salzwedeler Dampflokfreunde verwandelten sich in Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn und gestalteten für ihre Besucher diverse Szenen aus dem damaligen Bahnbetrieb. Sowohl Gäste als auch Gastgeber bedauerten, dass es aufgrund des bevorstehenden Wegzuges der Dampflokfreunde nach Wittenberge keine Wiederholung geben wird. |
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