Der Prignitzer vom 15.10.2013
Saisonausklang im Lokschuppen
von Lars ReinholdWittenberge Der infernalische Lärm, der am Samstagnachmittag plötzlich über das alte Bahnbetriebswerk Wittenberge hereinbricht, macht ebenso wie die riesige weiße Dampfwolke zweifelsfrei klar, dass hier wieder Leben eingezogen ist. Eisenbahnleben. Doch was ist passiert? Sollte ein technischer Defekt die große Güterzugdampflok der Baureihe 50 zum Ende der Saison lahmgelegt haben? Ganz so schlimm ist es freilich nicht, wenngleich das automatische Öffnen der Überdruckventile am Kessel der Lok zumindest für eine Schrecksekunde sorgt. "Da hat wohl jemand gepennt", kommentieren einige Vereinsmitglieder kopfschüttelnd.
Doch sind solche kleinen Malheure kein Grund für schlechte Stimmung, können die Mitglieder der beiden Eisenbahnvereine doch mit der ersten Saison als Brandenburgs größtes Eisenbahnmuseum zufrieden sein. "Es war ein gutes Jahr, geprägt von viel Arbeit, wenn man bedenkt, dass wir mit rund 3000 Tonnen Material umgezogen sind und uns erstmal einrichten mussten", sagt Dirk Endisch, stellvertretender Vorsitzender der Dampflokfreunde Salzwedel. Dennoch könne man schon jetzt mit dem Interesse der Besucher sehr zufrieden sein - sogar am trüben Samstag haben zahlreiche Eisenbahnfans den Weg in die Elbestadt gefunden.
Schlechte Kohle und getunte MotorenSo führt Endisch, der es seinerzeit selbst bis zum Reichsbahnsekretär gebracht hat, zum Saisonabschluss noch einmal drei Besuchergruppen durch die weitläufigen Anlagen, erklärt Details der Schienenfahrzeuge und schmückt seinen Vortrag mit allerlei Anekdoten aus längst vergangenen Eisenbahnerzeiten. Da geht es um "Kosakenkies" und "Afrikas Rache", also besonders minderwertigen Brennstoff, der den Heizern alles abverlangte, oder um Dieselloks, aus deren Motoren mit etwas mehr Ladedruck die Leistung herausgeholt wurde, die der große Bruder im Osten den DDR-Maschinen nicht zugestehen wollte. Das Publikum lauscht und lacht, Endisch ist in seinem Element.
Schließlich zeigt auch die Anerkennung in Fachkreisen, dass das Wittenberger Museum auf dem richtigen Weg ist. "Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich erarbeiten", gibt Endisch augenzwinkernd zu und verweist nochmals auf die hervorragende Infrastruktur des ehemaligen Bahnbetriebswerkes, die die Salzwedeler hier vorgefunden haben, ohne jedoch das Engagement der Stadt zu unterschlagen. "Wir bewundern immer wieder den Mut der Verwaltung, das Gelände zu kaufen und etwas daraus zu machen, anstatt es verfallen zu lassen."
Doch auch wenn sich die Tore für Besucher vorerst schließen, gibt es für den Verein allerhand zu tun. So soll neben der üblichen Instandhaltung der Fahrzeuge einer der beiden Wassertürme bis zum nächsten Jahr wieder in Betrieb genommen werden. "Die Arbeiten dazu haben zum Teil schon begonnen", berichtet Endisch. In Verbindung mit einem originalen Wasserkran soll dann künftig der Wasservorrat einer großen Dampflok wieder in etwa fünf Minuten aufgefüllt sein - eine gute Voraussetzung, um den Standort Wittenberge als Servicestation für dampfbespannte Sonderzüge auf Durchreise noch attraktiver zu machen.
Doppeljubiläum im nächsten JahrAußerdem stehen im nächsten Jahr zwei Jubiläen an. "Die Dampflokfreunde Salzwedel gibt es dann seit 20 Jahren, und auch der Wittenberger Verein, der seinerzeit mit der Aufarbeitung des Stellwerkes die ersten Arbeiten unternahm, um das Bw aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken, ist dann schon seit zehn Jahren aktiv", sagt Endisch.
Übrigens können sich Besuchergruppen auch außerhalb der Saison nach Absprache durch das Museum führen lassen.
Geschichten von "Kosakenkies" und "Afrikas Rache": Dirk Endisch (M.) führt eine Besuchergruppe durch die Ausstellung und erzählt Anekdoten aus der Eisenbahnervergangenheit. |
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